Der letzte Tropfen


Kapitel 1 – Die Tote im Weinberg

Ein kalter Wind zog durch die Weinberge von Beutelsbach, als Winzer Thomas Burger an diesem frühen Morgen seine Reben kontrollierte. Der Himmel war grau, Regen lag in der Luft. Die Lese war in vollem Gange, und bald würde der neue Jahrgang gekeltert werden. Doch heute sollte kein gewöhnlicher Tag werden.

Plötzlich hielt Thomas inne. Zwischen den Rebzeilen, am Hang unter einer alten Steinmauer, lag etwas – nein, jemand.

Er trat näher, sein Herz schlug schneller. Eine Frau. Ihre Kleidung war elegant, fast unpassend für eine Weinbergswanderung. Der rote Mantel, durchnässt vom Tau, glänzte im schwachen Licht des Morgens. Ihr Gesicht war bleich, die Augen starrten ins Nichts.

Thomas wich einen Schritt zurück und griff hastig nach seinem Handy. Noch bevor er die Polizei rufen konnte, hörte er Schritte hinter sich.

„Was ist denn hier los?“

Es war Paul König, der Dorfpolizist, der an diesem Morgen zufällig in der Nähe war. Ein erfahrener Ermittler mit einer Vergangenheit, über die nur wenige Bescheid wussten. Er sah sich die Szene an, kniete sich kurz hin und prüfte den Puls der Frau.

„Tot. Sie ist tot.“

Thomas schluckte schwer.

„Das ist … das ist doch …“ Er stockte.

Paul nickte langsam. „Ja. Das ist Anna Steinbach.“

Der Name schlug ein wie ein Blitz. Anna Steinbach war die Geschäftsführerin eines der bekanntesten Weingüter im Remstal. Ihre Weine gewannen Preise, ihr Name war in der Branche ein Begriff. Doch was tat sie mitten in der Nacht im Weinberg? Und vor allem – wer hatte sie hier sterben lassen?

Kapitel 2 – Die erste Spur

Polizist Paul König strich sich nachdenklich über den Dreitagebart, während er die Tote betrachtete. Anna Steinbach lag seltsam ruhig inmitten der Reben, als hätte sie sich freiwillig hingelegt, um zu schlafen. Doch der blasse Teint und die kalten Hände verrieten die Wahrheit: Sie war in dieser Nacht gestorben.

Paul drehte sich zu Thomas Burger um. „Haben Sie sie gekannt?“

Thomas nickte langsam. „Natürlich. Jeder hier kennt die Steinbachs. Ihr Weingut gehört zu den renommiertesten der Region. Aber … ich kann mir nicht erklären, was sie hier draußen mitten in der Nacht gemacht hat.“

Paul ließ seinen Blick über den Tatort schweifen. Keine offensichtlichen Verletzungen, kein Blut. Nur eine tote Frau in einem roten Mantel. Ungewöhnlich ruhig für ein Verbrechen.

„Könnte sie gestürzt sein?“ fragte Thomas leise.

Paul schüttelte den Kopf. „Eher unwahrscheinlich. Sie liegt zu ordentlich da. Und ihr Gesichtsausdruck …“ Er zögerte. „Sie sieht nicht aus, als hätte sie Schmerzen gehabt. Eher, als wäre sie einfach eingeschlafen.“

Ein tödlicher Zufall? Oder hatte jemand nachgeholfen?

In der Ferne heulten Sirenen auf. Die Verstärkung war unterwegs. Paul richtete sich auf und atmete tief durch. Er hatte schon viele Fälle gelöst – aber ein Mord mitten in den Weinbergen? Das war selbst für das beschauliche Remstal eine Seltenheit.

„Thomas, war heute Nacht irgendetwas Ungewöhnliches? Lichter? Stimmen?“

Der Winzer überlegte kurz. „Nein … doch, Moment.“ Er runzelte die Stirn. „Gestern Abend, gegen zehn, habe ich Scheinwerfer am Feldrand gesehen. Ich dachte, es wären Touristen oder jemand vom Weingut. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke … es war ein schwarzer SUV. Und der stand da eine ganze Weile.“

Paul machte sich eine mentale Notiz. Ein schwarzer SUV. Nicht gerade ein seltenes Auto – aber ein erster Anhaltspunkt.

In diesem Moment fuhr der Streifenwagen vor. Zwei uniformierte Kollegen stiegen aus, gefolgt von der Gerichtsmedizinerin Dr. Sophie Breuer. Sie nickte Paul knapp zu und warf einen prüfenden Blick auf die Leiche.

„Könnte eine Vergiftung sein,“ sagte sie nach einer kurzen Untersuchung. „Keine äußeren Verletzungen, keine Spuren von Gewalt. Aber die genaue Todesursache kann ich erst nach der Obduktion sagen.“

Paul spürte, wie sich ein kaltes Gefühl in seiner Brust ausbreitete. Vergiftung. Wenn das stimmte, hatte jemand Anna Steinbach gezielt umgebracht.

Die Frage war nur: Wer – und warum?